Neugier und zugleich Skepsis begleiteten mich auf meiner ersten Fahrt zum “Dreiländereck“, für den Ortsunkundigen versteckt gelegen beim kleinen deutschen Dörfchen Prex in Oberfranken.
Tief im Tal verborgen fand ich sie, die ÖFFNUNGEN des Künstlers Ion Bretan aus Hof, installiert 1995 dort, wo sich Bayern, Böhmen und Sachsen fast unsichtbar berühren, wären da nicht zwei kleine Grenzschilder in deutscher und tschechischer Sprache und ein unscheinbarer Holzzaun gewesen.
So harmlos mag es hier nicht immer ausgesehen haben, auch wäre es wohl keinem Künstler vor 1989 möglich gewesen, an diesem Ort irgendwelche ÖFFNUNGEN zu betreiben.
Einsamkeit, Stille, Unberührtheit der Natur waren hier zu finden - konnte man jetzt wirklich sicher sein, nicht plötzlich ein “Halt! Stehenbleiben!“ zu hören? Konnte ich mich unbefangen aufs Fotografieren konzentrieren?
Der kleine Grenzbach, der sich, gesäumt von Büschen und überdeckt von hohen Bäumen, durch die Talmitte schlängelte, konnte schon immer sein Wasser ungehindert über Grenzen fließen lassen...
Zum Fotografieren war ich in dieses stille Tal gekommen, und es überraschte mich ein völlig ungewohnter Anblick: Die mehrteilige Installation von Ion Bretan, über dem Bach auf etwa einhundert Meter verteilt - ja, fast versteckt, erschloß sich dem Betrachter nicht leicht, fast mußte man nach ihren einzelnen Elementen suchen.
Der Kontrast zwischen dem Blau der stählernen Rahmen und dem Grün der Büsche und Bäume befremdete mich, diesem BLAU zu dem GRÜN stand ich nicht offen gegenüber. Jedoch mein anfängliches Sträuben wich immer mehr einer Faszination durch den Kontrast zwischen lebendiger Natur und den starren Konstruktionen, voller Spannung über dem Wasser schwebend, aber nicht bedrohlich, sondern auf eine geheimnisvolle Weise mit der Umgebung verwachsend, im unterschiedlichen Licht, in den verschiedenen Jahreszeiten.
Obwohl alle diese fensterähnlichen ÖFFNUNGEN mit ihrer strengen Form absolut identisch waren, unterschieden sie sich voneinander, “bewegten“ sie sich, veränderten ihre Form, „öffneten“ sich neu, ließen überraschende Durchblicke zu - vorausgesetzt, der Betrachter selbst war dazu bereit, sich zu bewegen, seinen Standpunkt zu verändern, sich dem Fremden zu öffnen, Neues zu entdecken - wenn der Weg dahin manchmal auch unbequem oder nicht ungefährlich war.
ÖFFNUNGEN - dieses Wort steht für Fenster und Türen, sie bieten Einblicke in das Leben anderer, Ausblick auf Unbekanntes, Zugang zu Neuem, Lichtblicke, Hoffnungen - es kann aber auch stehen für die Öffnung unserer Sinnesorgane, der Augen, der Ohren, des Mundes dem Leben, der Natur, anderen Menschen gegenüber. Nur wenn unsere Sinne wach, offen sind, können wir Schönes und Schreckliches, Sicheres und Gefährliches, Fremdes und Vertrautes wahrnehmen und unterscheiden.
Mit Blicken und Worten, gleich in welcher Sprache, können Menschen zueinanderfinden, können Herzen geöffnet werden.
Unsere Generation hat es im Jahr 1989 erlebt: Unüberwindbar scheinende Grenzen wurden geöffnet, fremde Menschen fanden zueinander. Neue Möglichkeiten und Chancen taten sich auf, aber auch Unsicherheit und Angst und Vorbehalte vor Unbekanntem wuchsen.
Neugier und Skepsis ringen oft miteinander in uns. Wir brauchen Mut, um uns Neuem zu öffnen, auf andere zuzugehen, neue Räume zu betreten. Den Mut dazu verlangt uns das Leben immer wieder ab. Wenn wir Menschen unsere Herzen und Sinne öffnen, wird es immer ein ERLEBNIS sein.
Spannend war die Auseinandersetzung mit den ÖFFNUNGEN von Bretan, vertraut waren sie mir über ein Jahr hin geworden - die Neugier aber blieb, ließen sie doch noch so viele Möglichkeiten der (fotografischen) Betrachtungsweise offen....